Wahl des Opioid-Agonisten

Alle Substanzen bringen gewisse Vor- und Nachteile mit sich. Die Wahl des Opioid-Agonisten obliegt nicht nur dem ärztlichen Spielraum, sondern sollte mit jedem Patienten, mit jeder Patientin individuell besprochen werden (SSAM 2020; Stohler/Dürsteler-MacFarland 2003; Strasser/Vogel 2021). Der Einbezug der Patientinnen und Patienten ist somit zentral. Es gibt nur eine aktuelle Leitlinie zur Behandlung älterer Opioidabhängiger. Diese stammt aus Kanada und empfiehlt, Buprenorphin aufgrund geringerer Nebenwirkungen und einer vermeintlich höheren Arzneimittelsicherheit im Vergleich zu Methadon und retardierten Morphinen bevorzugt einzusetzen. Allerdings gibt es keine Evidenz aus der Behandlung älterer opioidabhängiger Personen, aus der sich diese Empfehlung ableitet (Rieb et al. 2020). So gilt heute, dass in erster Linie die subjektive Wirkung und Verträglichkeit (z. B. Wirkweise, Nebenwirkungen) eine Rolle bei der Wahl des Opioid-Agonisten spielt. In zweiter Instanz werden objektive medizinische Parameter (z. B. Interaktionen mit Medikamenten, QTc) hinzugezogen.

Im Folgenden werden die in der Schweiz zugelassenen Opioid-Agonisten aufgeführt und einige der Vor- und Nachteile beschrieben. Diese Auflistung ist selbstredlich nicht vollständig (Quellen: SSAM 2020; Praxis Suchtmedizin.ch; BAG 2013; Strasser/Vogel 2021; Dürsteler-MacFarland/Schmid/Vogel 2009). Aus medizinischer Sicht gelten Methadon, Levomethadon, SROM und Buprenorphin als gleichwertige Opioid-Agonisten. Die optimale Einstellung der Dosierung ist individuell, sollte im Zweifel aber etwas langsamer erfolgen als bei jüngeren PatientInnen. So empfehlen die kanadischen Leitlinien bei Neueinstellung eine Reduktion der Anfangsdosis ebenso wie der Dosissteigerung um 25 – 50 % (Rieb et al. 2020). In den medizinischen Empfehlungen der SSAM (2020) sind Dosisanpassungen als möglich, aber nicht zwingend beschrieben.

Achtung: Besondere Vorsicht ist bei Benzodiazepinen geboten. In Kombination mit Opioid-Agonisten können sie aufgrund der additiven atemdepressiven Effekte lebensgefährlich sein!

Methadon

  • Handelsname: Ketalgin®, Methadon Streuli®
  • Galenik: Tabletten, Lösung, Injektionslösung, Suppositorien, Tropfen
  • Vollsynthetisch hergestelltes Opioid
  • Stark schmerzstillend
  • Lang wirksamer Vollagonist
  • Bei älteren Menschen: stärkere und längere Wirkung von Methadon
  • Induktionsbeginn kann ohne Wartefrist nach letztem Heroinkonsum erfolgen
  • Grosse Erfahrung im Umgang mit der Substanz

Nebenwirkungen:

  • Atemdepression
  • Schwitzen
  • Obstipation
  • Chronische Übelkeit, evtl. Erbrechen
  • Schläfrigkeit
  • Selten, aber schwerwiegend: QTc-Verlängerung
  • Endokrine Störungen
  • psychische Symptome
  • Hyperalgesie
  • Verminderung der sexuellen Funktionsfähigkeit
  • Beeinflussung des Monatszyklus

Absolute Kontraindikationen:

  • allergische Reaktionen auf die Wirksubstanz

Risiko:

  • Kombination mit Schlaf- oder Beruhigungsmittel, Alkohol und/oder Heroin kann zu einem Atemstillstand führen.

Buprenorphin

  • Handelsname: Subutex®, Buprenorphin mepha®, Suboxon®
  • Galenik: Sublingualtabletten
  • Langwirkender Teilagonist / partieller Opioid-Agonist/Antagonist
  • Bei Patientinnen und Patienten mit QTc-Verlängerung zu bevorzugen (vor Methadon)
  • Deutlich geringere Gefahr einer Verlängerung des QTc-Intervalls als unter Methadon
  • Weniger Arzneimittelinteraktionen als bei Methadon
  • Abgabeintervalle von zwei bis drei Tagen sind möglich
  • Die Steady State Dosierung kann ohne Gefahr von schwerwiegenden Überdosierungen schneller erreicht werden
  • Geringe Atemdepression und Überdosisrisiko
  • Weniger Probleme bei Übelkeit oder Erbrechen

Nachteil:

  • Einstellung aufwändiger aufgrund des Risikos von induzierten Entzugssymptomen bei Teilagonismus, lange Halbwertszeit am Rezeptor (deshalb 1x täglich bis jeden 3. Tag)

Nebenwirkungen:

  • Schlaflosigkeit
  • Kopfschmerzen
  • Kraftlosigkeit
  • Verstopfung
  • Pupillenverengung

Absolute Kontraindikationen:

  • allergische Reaktionen auf die Wirksubstanz

Risiko:

  • Kombination mit anderen sedierenden Substanzen (Benzodiazepine, Alkohol) kann zu Atemdepression führen.
  • Von Kombination mit reinen Opioid-Agonisten oder mit MAO-Hemmern wird abgeraten
  • Chronisch respiratorische und schwere hepatische Insuffizienz

Levomethadon / (R)-Methadon

  • Handelsname: L-Polamidon®
  • Galenik: Lösung
  • Lang wirksamer Vollagonist
  • Vollsynthetisch hergestellt
  • Stark schmerzstillend
  • Weniger verlängernde Wirkung als das Methadon-Razemat auf die QTc-Zeit
  • Doppelt so wirksam: durch tiefere Dosierung ist teilweise bessere Verträglichkeit möglich → tieferes Interaktionspotenzial

Nebenwirkungen:

  • Schläfrigkeit
  • Verstopfung
  • Übelkeit, evtl. Erbrechen
  • Starkes Schwitzen
  • Psychische Symptome
  • Verminderung der sexuellen Funktionsfähigkeit
  • Beeinflussung des Monatszyklus

Absolute Kontraindikationen:

  • allergische Reaktionen auf die Wirksubstanz

Risiko:

  • Kombination mit Schlaf- oder Beruhigungsmittel, Alkohol und/oder Heroin kann zu einem Atemstillstand führen.

Retardiertes Morphin / SROM (slow release oral morphine)

  • Handelsname: Kapanol®, Sevre Long®
  • Galenik: Kapseln
  • Lang wirksamer Vollagonist
  • Gleiche Kontraindikationen wie bei Methadon
  • Bei Patientinnen und Patienten mit QTc-Verlängerung zu bevorzugen (vor Methadon)

Im Vergleich zu Methadon:

  • Vergleichbare Effektivität und Sicherheit
  • Keine ungünstige Wirkung des Methadon-Razemats auf die QTc-Zeit
  • Nebenwirkungen oft weniger ausgeprägt
  • Höhere Patientenzufriedenheit
  • Oft besser toleriert, keine Interaktionen

Nebenwirkungen:

  • Schlaflosigkeit
  • Kopfschmerzen
  • Kraftlosigkeit
  • Verstopfung
  • Hautausschlag (Rash), Pruritus, Urtikaria
  • Pupillenverengung

Risiko:

  • Vorsicht bei schwerer Niereninsuffizienz

Diacetylmorphin

  • Handelsname: Diaphin®
  • Galenik: Injektionslösung, Immediate-Release-Tabletten, Slow-Release-Filmtabletten
  • kurzwirksam, schnell anflutend
  • streng reglementiert und nur in lizenzierten Zentren verfügbar
  • Alternative, wenn OAT mit oral eingenommenen Opioidagonisten nicht anschlägt, nach gescheiterten abstinenzorientierten Behandlungen oder bei unzureichenden Behandlungserfolgen:
    • anhaltender Konsum von Strassenheroin (trotz adäquat durchgeführter OAT)
    • fortgesetztes Verlangen nach intravenösem, inhalativem oder pernasalem Konsum
  • Beste Option für Personen, die Tageswirkungsgang und schnelle Anflutung / «Flash» suchen
  • Verschiedene galenische Formen (auch erste nasale Anwendungen in der Schweiz z. B. bei schlechtem Venenstatus)
  • Kombinationsbehandlung von Diacetylmorphin mit Methadon, L-Polamidon sowie retardierten Morphinen möglich

Nebenwirkungen:

  • Obstipation
  • Zyklusstörung / Oligomenorrhoe
  • Übelkeit
  • Emetische Sofortreaktion
  • Sedation
  • Pruritus, Urtikaria, Quincke-Ödem

Schwerere Nebenwirkungen:

  • epileptiforme Anfälle
  • Thrombozytopenie
  • Orthostatischer Kollaps
  • Arrhythmie
  • Bewusstlosigkeit
  • Atemdepression / Atemstillstand
  • Harnverhalt

Risiko:

  • Die gleichzeitige Einnahme von Narkotika, Benzodiazepinen, anderen Sedativa und Hypnotika sowie Alkohol potenzieren die Wirkung von Diacetylmorphin (erhöhtes Risiko von Atemdepression).

Absolute Kontraindikation:

  • Allergische Reaktionen auf Wirkstoffe

Nachteile:

  • Mitgaben nur bis zu zwei Tage möglich, die häufigen Abgabetermine können bei eingeschränkter Mobilität oft nicht umgesetzt werden
  • Ältere Personen mit langjährigem intravenösem Konsum von Strassendrogen weisen oft einen stark reduzierten Venenstatus auf, der die Applikation erschwert

Quellen

  • Anderson TL, Levy JA. Marginality among older injectors in today’s illicit drug culture: assessing the impact of ageing. Addiction 2003; 98(6): 761-770.
  • Bundesamt für Gesundheit. Webseite. Substitutionsgestützte Behandlungen bei Opioidabhängigkeit. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesund-leben/sucht-und-gesundheit/suchtberatung-therapie/substitutionsgestuetzte-behandlung.html, Zugriff 2810.2021..
  • Bell J, Zador D. A risk-benefit analysis of methadone maintenance treatment. Drug Safety 2000; 22(3): 179-190.
  • Conner KO, Rosen D. “Your nothing but a junkie”: the multiple experiences of stigma in an aging methadone maintenance population. Journal of Social Work Practice in the Addictions 2008; 8(2): 244-264.
  • Dürsteler-MacFarland KM, Schmid O, Vogel M. Ältere OpiatkonsumentInnen in Substitutionsbehandlungen. Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis 2009; 41(3): 569-578.
  • Dürsteler-MacFarland KM, Vogel M. Substitutionsbehandlungen kommen in die Jahre – die PatientInnen auch. SuchtMagazin 2010; 36(3): 29-33.
  • Gurnack AM, Atkinson RM, Osgood NJ. Treating alcohol and drug abuse in the elderly. New York: Springer; 2001.
  • Hiltunen AJ, Lafolie P, Martel J et al. Subjective and objective symptoms in relation to plasma methadone concentration in methadone patients. Psychopharmacology (Berl) 1995; 118(2): 122-126.
  • Meyer M, Mücke A, Strasser J, Walter M, Vogel M. Nasale Applikationsform in der opioidgestützten Behandlung. Suchtmedizin 2021; 23(4): 219-224.
  • Rieb LM, Samaan Z, Furlan AD. Canadian guidelines on opioid use disorder among older adults. Canadian Geriatrics Journal 2020; 23(1): 123-134.
  • Smith HS, Passik SD. Pain and chemical dependency. New York: Oxford University Press; 2008.
  • Smith ML, Rosen D. Mistrust and self­isolation: barriers to social support for older adult methadone clients. Journal of Gerontological Social Work 2009; 52(7): 653-667.
  • Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (Hrsg.). Medizinische Empfehlungen für Opioidagonistentherapie (OAT) bei Opioidabhängigkeits-Syndrom 2020. Bern: SSAM; 2020.
  • Stohler R, Dürsteler-MacFarland KM. Cocaine and opiate related disorders. Therapeutische Umschau 2003; 60: 329-333.
  • Strasser J, Vogel M. Behandlung von Patienten unter Opioidagonistentherapie. Swiss Medical Forum 2021; 21(2324): 396-401.
  • Vogt I. Lebenslagen und Gesundheit älterer Drogenabhängiger: ein Literaturbericht. Suchttherapie 2009; 10: 17-24.

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