Ärzteschaft: Alkohol

Kurzintervention

Für die Beratung und Behandlung bei problematischem Alkoholkonsum steht eine Vielzahl an praxiserprobten und standardisierten Verfahren zur Verfügung. Eine der erfolgversprechendsten Methoden ist die Kurzintervention, die in Verbindung mit der Motivierenden Gesprächsführung und dem Transtheoretischen Modell nach Prochaska und DiClemente bei allen Altersstufen eingesetzt wird. Im angloamerikanischen Sprachraum haben sich auf Basis der Kurzintervention Behandlungsmodelle (z. B. SBIRT oder BRITE)  entwickelt, die spezifisch auf die Bedürfnisse von Menschen jenseits des 55. Lebensjahres angepasst sind und welche sich für die Hausarztpraxis besonders eignen. Für den kontrollierten Konsum stehen zudem bewährte Programme zur Verfügung, die Alternativen zu einer Abstinenz darstellen und zu einem Konsumrückgang oder moderatem Konsum beitragen können (z. B. Kontrolliertes Trinken).

Als effektiv haben sich in der Vergangenheit Kurzinterventionen bei Patientinnen und Patienten mit Alkoholproblemen erwiesen. In der praktischen Anwendung wird unter «Kurzintervention» meist die Kombination von Gesprächen kurzer Dauer und beschränkter Anzahl, Motivierender Gesprächsführung (vor allem Miller/Rollnick 2002) und die Orientierung am Transtheoretischen Modell (vor allem Prochaska/DiClemente 1983) verstanden. Die Kurzintervention eignet sich damit auch für die Beratung in der ärztlichen Praxis und hat sich bei Patientinnen und Patienten mit Alkoholproblemen als wirksam erwiesen.

Ziel der Kurzintervention ist es, eine Begleitung und bei Bedarf unterstützende Behandlung zur Verfügung zu stellen. Diese unterscheidet sich je nach Phase des Risikoverhaltens und der Veränderungsbereitschaft und ist vor allem auf die Motivation zur Risikominderung gerichtet. Für die praktische Hilfe zur ärztlichen Kurzintervention bei Alkoholproblemen verweisen wir auf die weiter unten verlinkten Dokumente und Leitfäden.

Die Motivierende Gesprächsführung (auch MI oder Motivational Interviewing) ist ein zielgerichtetes, klientenzentriertes Beratungskonzept zur Lösung ambivalenter Einstellungen gegenüber Verhaltensänderungen (Miller/Rollnick 2002). Das Konzept wurde in den 1980er Jahren von Miller und Rollnick basierend auf dem Veränderungsmodell von Prochaska und DiClemente (1983) für die Beratung von Menschen mit Suchtproblemen entwickelt und kann beim problematischen Konsum ebenso eingesetzt werden wie bei der Alkoholabhängigkeit.

MI fördert die Selbstverantwortung der Betroffenen unter der Prämisse, sie auf ihrem Weg «auf gleicher Augenhöhe» zu begleiten. Der Umgang mit Widerstand und Ambivalenz steht im Zentrum der Interventionen. Eine Grundannahme hierbei ist, Ambivalenz ist ein natürliches Gefühl bei der Veränderungsarbeit zu verstehen. Demnach pendeln Betroffene zwischen zwei Polen des Verhaltens – einerseits zu trinken, andererseits auch wieder nicht. Ein lohnendes Ziel fördert die Motivation. Im Rahmen der Motivationalen Intervention wird die Ambivalenz reflektiert mit dem Ziel, eine Entscheidung bei der suchtkranken Person zu fördern. Dabei wird jederzeit auf die Autonomie der Betroffenen fokussiert (Selbst-Kontroll-Konzept). Die Motivation zur Veränderung ist nicht Voraussetzung, sondern das Ziel der Beratung.

Zentral für den Ansatz der Motivierenden Gesprächsführung ist die zugrunde liegende Gesprächshaltung, die gekennzeichnet ist von:

  • akzeptierender Begleitung der Person (nicht des Konsums) statt Konfrontation
  • Achtung vor der Autonomie statt Machtausübung
  • Respekt und Empathie (das Sichhineinversetzen in einen anderen, in eine andere Situation) statt dominierendem Expertenwissen
  • klare Rückmeldung an Stelle von nondirektivem Offenlassen

Inhalte der Gespräche:

  • Konsummuster klären
  • Pro und Contra des Konsums klären
  • Ambivalenz und Sorgen besprechen
  • Grenzen verhandeln
  • Vereinbarungen treffen
  • Vermittlung in weiterführende Hilfsangebote ermöglichen

Das Transtheoretische Modell (Prochaska/DiClemente 1982) ist ein Modell zur Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Beeinflussung von intentionalen Verhaltensänderungen. Das Modell zeigt die Abfolge von Stadien, welche Menschen durchlaufen können, wenn sie ein Problem bearbeiten. Prochaska und DiClemente verstehen unter Motivation das Stadium der Veränderungsbereitschaft. Es handelt sich dabei um einen inneren Zustand, der von äusseren Faktoren beeinflusst wird. Es wird davon ausgegangen, dass eine Verhaltensänderung ein Lernprozess ist und eine Person oft mehrmals die folgenden Stadien durchläuft, bis sie zu einer Aufrechterhaltung einer Veränderung gelangt. Das Modell dient in erster Linie dazu, festzustellen, in welchem Stadium sich eine von Suchtmittelproblemen betroffene Person befindet, um eine entsprechende Intervention auf die Gegebenheiten der jeweiligen Phase abzustimmen.

Die Stadien oder Phasen der Motivationsentwicklung:

  • Absichtslosigkeit (precontemplation): Kein Problembewusstsein vorhanden; keine Problemwahrnehmung; keine Reflexion über eine mögliche Verhaltensänderung; Passivität.
  • Absichtsbildung (contemplation); Überdenke der eigenen Situation, wobei typischerweise Ambivalenz auftritt; die Person erwägt eine Veränderung und verwirft sie zugleich.
  • Vorbereitung (preparation, determination): Ernsthafte Reflexion; Entschluss zu einer Änderung; Aufbau der Motivation.
  • Handlung (action): Beginn und Einüben der Verhaltensänderung; konkrete Schritte der Veränderung.
  • Aufrechterhaltung (maintenance): Rückschläge überwinden; Fortsetzung des Prozesses der Verhaltensänderung; Veränderungen festigen.
  • Rückfall/Ausrutscher (relapse): Eigene Regeln wurden verletzt; der Rückfall wird als normales Ereignis bzw. als Stadium der Veränderung bewertet; neues Eintauchen in den Kreislauf der Veränderung.

Screening, Brief Intervention and Referral to Treatment (SBIRT) ist ein umfassendes und integriertes Konzept zur Früherkennung und -intervention. Es ufasst ein systematisches Sreening mittels geeigneter Instrumente, eine Kurzinterventon oder Kurzberatung sowie bei Bedarf eine Überweisung an das Behandlungssetting. SBIRT wird bei Personen mit substanzbezogenen Störungen und bei solchen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit angewendet. Das Vorgehen beschreibt einen optimalen Ablauf einer Intervention in der ärztlichen Praxis (White Paper 2011; Babor et al. 2007).

SBIRT

Die bisherigen Ergebnisse von SBIRT sind vielversprechend und zeigen kurzfristige Verbesserungen des Gesundheitszustandes der Betroffenen. Langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung konnten noch nicht nachgewiesen werden, aber Simulationsmodelle deuten darauf hin, dass die Vorteile beträchtlich sein könnten.

«The Brief Intervention and Treatment for Elders» (BRITE) wurde zur Identifikation und Behandlung von Menschen ab 55 Jahren mit einem problematischen Konsum von Alkohol, von verschreibungspflichtigen Medikamenten und von illegalen Drogen entwickelt. Das Angebot umfasst ein Screening (SMAST-G sowie ASSIST), eine Kurzintervention oder Kurzberatung und die Überweisung in ein Behandlungssetting. BRITE basiert auf dem Interventionsschema von SBIRT und wird in den USA erfolgreich angewendet (Schonfeld et al. 2010).

BRITE kann in der ärztlichen Praxis, in der Gesundheitsvorsorge, zu Hause (aufsuchende Behandlung), in Altersheimen sowie im betreuten Wohnen umgesetzt werden. Eine Übertragung dieser Vorgehensmethodik auf die Schweiz ist bis anhin nicht erfolgt.

Die Programme des Kontrollierten Trinkens verlaufen standardisiert und unter engmaschiger Betreuung von professionellen Suchtfachpersonen oder werden als Selbsthilfeprogramme genutzt. Das «Kontrollierte Trinken» eignet sich insbesondere für Betroffene mit einem problematischen Alkoholkonsum. Die Patientinnen und Patienten wählen und kontrollieren das Trinkziel selbst, was der eigenen Veränderungsmotivation am förderlichsten ist. Dabei wird – nach Möglichkeit – darauf geachtet, die von der WHO als grenzwertig definierten täglichen Ethanolmengen von 20 g für Frauen und 30 g für Männer nicht zu überschreiten (siehe Trinkmengen). Üblicherweise werden in einem wöchentlichen Konsumplan drei Ziele festgelegt, nämlich die Anzahl alkoholfreier Tage, die maximale Konsummenge pro Trinktag sowie der maximaler Gesamtkonsum in der ganzen Woche. Zahlreiche Suchtfachstellen in der Schweiz bieten Programme des Kontrollierten Trinkens im Einzel- und Gruppensetting an (siehe Dokumente und Links weiter unten).

Kontrolliertes Trinken (KT) wurde in den vorliegenden Studien (z. B. zusammengefasst bei Saladin/Santa Ana 2004; Walters 2000 und Apodaca/Miller 2003) bei einem breiten Altersspektrum eingesetzt. Eine spezielle Altersgruppe, bei der die Anwendung von KT-Ansätzen nicht oder schlechter funktionierte, hat sich nicht gezeigt. Der Einsatz eines KT-Programms ist somit alters- und geschlechtsunabhängig erfolgversprechend. Allerdings sollten bei der Durchführung die niedrigeren Trinkmengen für ältere Personen unbedingt berücksichtigt werden.

Sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich kommt vermehrt der Ansatz «Trinken unter Kontrolle» zum Einsatz, wobei die folgende Definition verwendet werden kann: «Mengenmässig reglementierter Konsum alkoholischer Getränke, zu vorbestimmten Zeiten, in einem geschützten, örtlich eingegrenzten Rahmen, im Beisein von Fachpersonen, unter Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln, zum Zwecke der Schadensbegrenzung und allfälliger Motivierung zur Verhaltensänderung» (Klingemann 2008, zit. in Radke/Krebs 2008, 9).

Individuelle Formen des «Trinkens unter Kontrolle» haben sich in der Praxis von Wohn- und Altersheimen bewährt. Ziel ist es, einen schädlichen, respektive missbräuchlichen Konsum einzugrenzen. In der Regel werden beim Eintritt mit dem Betroffenen die Rahmenbedingungen zum Alkoholkonsum geregelt.

Quellen

  • Apodaca T, Miller W. A meta-analysis of the effectiveness of bibliotherapy for alcohol problems. J Clin Psychol 2003; 59(3): 289-304.
  • Babor TF, McRee B, Kassebaum P, Grimaldi P, Ahmed K, Bray J. Screening, Brief Intervention, and Referral to Treatment (SBIRT): toward a public health approach to the management of substance abuse. Substance abuse 2007; 28: 7-30.
  • Miller W, Rollnick S. Motivational interviewing: preparing people for change. New York: Guildford Press; 2002.
  • Prochaska J, DiClemente C. Transtheoretical therapy toward a more integrative model of change. Psychotherapy: Research & Practice 1982; 19: 276-288.
  • Prochaska J, DiClemente C, Stages and processes of self-change of smoking: toward an integrative model of change. Journal of Consulting and Clinical Psychology 1983; 51: 390-395.
  • Radke T, Krebs M. Kontrollierter Konsum von Alkohol – ein Überblick. SuchtMagazin 2008; 34(3): 3-12.
  • Saladin M, Santa Ana E. Controlled Drinking: More than just a controversy. Current Opinions in Psychiatry 2004; 17: 175-87.
  • Schonfeld L, King-Kallimanis B, Duchene D, Etheridge R, Herrera J, Barry K, Lynn N. Screening and Brief Intervention for Substance Misuse Among Older Adults: The Florida BRITE Project. American Journal of Public Health 2010; 100(1): 108-114.
  • Walters G. Behavioral self-control training for problem drinkers: A meta-analysis of randomized control studies. Behavior Therapy 2000; 31: 135–149.
  • White Paper. Screening, Brief Intervention and Referral to Treatment (SBIRT) in Behavioral Healthcare. Rockville, MD: SAMHSA; 2011.

Informationen für Ärzteschaft

Rat und Hilfe

SafeZone.ch

Anonyme Online-Beratung zu Suchtfragen für Betroffene und Angehörige

www.safezone.ch

Suchtindex.ch

Adressen von Beratungs- und Unterstützungsangeboten in der Schweiz

www.suchtindex.ch

Sucht Schweiz

Av. Louis-Ruchonnet 14,
1003 Lausanne
021 321 29 76

www.suchtschweiz.ch

Infodrog

Schweizerische Koordinations- und Fachstelle Sucht
031 376 04 01

www.infodrog.ch