Ärzteschaft: Alkohol
Risikofaktoren
Die Entwicklung zu einer Alkoholproblematik hängt von der physischen und psychischen Verfassung der Person und den soziokulturellen Faktoren ab. In dem Sinne gibt es eine Vielzahl von Risikofaktoren, die im zunehmenden Alter die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Alkoholproblematik erhöhen. Darüber hinaus muss auch den Folgen eines problematischen Alkoholkonsums und der Alkoholabhängigkeit im Alter Rechnung getragen werden, da diese ihrerseits wieder zu Risikofaktoren werden können.
Bei älteren Menschen nimmt das Risiko sowohl für somatische als auch für psychiatrische und neurologische Erkrankungen zu. Zusätzlich steigt aufgrund der Alterungsprozesse das Risiko für Wechselwirkungen zwischen einem übermässigen Konsum von Alkohol und diesen Störungen an, d. h. der Alkoholkonsum kann das Auftreten von somatischen (z. B. koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Schlaganfall), psychiatrischen und neurologischen Krankheiten (Demenz, Neuropathien, Ataxien, Depressionen, kognitive Defizite) begünstigen. Die Trinkmengen und das Trinkverhalten älterer Menschen haben ebenfalls einen Einfluss. Zudem können alterstypische kritische Lebensereignisse (z. B. Trennung, Tod, Pensionierung) oder Störungen des sozialen Umfeldes und der sozio-ökonomischen Faktoren (z. B. Altersarmut bei Berentung, Einsamkeit) das Risiko für die Suchtentstehung erhöhen. Die Aufrechterhaltung und Förderung der beruflichen und freizeitlichen Beschäftigung, die gesellschaftliche Integration, eine selbstbestimmte Lebensführung sowie hohe Gesundheitskompetenz hingegen sind protektive Faktoren. Bei einer Kurzintervention, einer Kurzberatung oder einer Behandlung von älteren Menschen ist es wichtig, sowohl die Risikofaktoren als auch mögliche Schutzfaktoren zu berücksichtigen.
Kritische Lebensereignisse
Bei der Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen im späten Alter spielt die Bewältigung altersspezifischer Belastungsfaktoren und kritischer Lebensereignisse eine bedeutsame Rolle. Dabei handelt es sich mit auffälliger Häufigkeit um schwierige Lebenssituationen, besonders um Verlusterfahrungen im privaten Bereich oder im Arbeitsleben (Kessler et al. 2012). Dazu gehören die Beendigung des Berufslebens und der Übergang in den Ruhestand, Verlust von Tagesstrukturen, der Wegzug der Kinder, Krankheit und Abnahme der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit und der Verlust oder Tod von Angehörigen und Nahestehenden. Diese Belastungen können zu Vereinsamung, Verlust von Lebenssinn und Depression führen und die Entstehung von Suchtproblemen begünstigen.
Somatische Risikofaktoren
Eine Vielzahl von Datenquellen weist sowohl bei Frauen als auch bei Männern auf die Problemlast somatischer Erkrankungen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum im Alter hin. Dabei wird diese insbesondere von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krankheiten des Bewegungsapparates dominiert.
Eine Vielzahl von Datenquellen weist sowohl bei Frauen als auch bei Männern auf die Problemlast somatischer Erkrankungen im Alter hin. Dabei wird diese insbesondere von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krankheiten des Bewegungsapparates dominiert. Bei älteren Menschen ist zudem die Fähigkeit, Sauerstoff aufzunehmen, reduziert. Da Nervenzellen zum Alkoholabbau ca. 80 % des Zellsauerstoffes benötigen, führt ein übermässiger Alkoholkonsum mit zunehmendem Alter zur Verminderung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Die Aufmerksamkeit, die Konzentration, das Allgemeinbefinden und die Fitness sind durch die Belastung mit alkoholischen Getränken eingeschränkt.
Im Zusammenhang mit Alkoholkonsum werden vermehrt Ösophagusvarizen, Magenblutungen, Dyspepsien, Pankreatitis, Hepatitis, Leberzirrhose beobachtet. Das Risiko für bestimmte Krebsarten, u. a. das Verdauungssystem betreffend, ist ebenfalls erhöht (Heuberger 2009; De Menezes/Bergmann/Thuler 2013).
Der Konsum von Alkohol wirkt sich ungünstig auf das Herz-Kreislaufsystem aus. So begünstigt ein problematischer Alkoholkonsum das Auftreten von Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Herzmuskelerkrankungen und Schlaganfällen (Wakabayashi 2010).
Die Studien geben unterschiedliche Mengen an, ab denen von einer schädlichen Wirkung auszugehen ist. Neuere Studien weisen eher in die Richtung, dass die gängigen Grenzwerte als zu hoch erachtet werden können. Grundsätzlich ist jedoch klar, dass Alkohol die Gesundheit nicht fördert. Geringe Alkoholmengen senken möglicherweise das Risiko minimal für wenige Erkrankungen. Hierzu gehören koronare Herzerkrankungen und der ischämische Schlaganfall. Die Studienlage zu diesen Effekten ist allerdings widersprüchlich. Die zugrundeliegenden Mechanismen für die Definition des Alkohols als Risikofaktor sind nicht bekannt. Womöglich spielen neben dem Alter, dem Geschlecht und den Alkoholmengen auch genetische Faktoren eine nicht unwesentliche Rolle. Das bedeutet auch, dass es sehr schwer ist, negative Folgeerkrankungen vorherzusagen.
Regelmässiger Alkoholkonsum erhöht den Blutdruck. Bei der Überschreitung der von der WHO empfohlenen Grenzwerte für den täglichen Konsum alkoholischer Getränke (vgl. Trinkmengen) steigt das Risiko einer Hypertonie auch ohne Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit um das Doppelte gegenüber abstinenten Personen. Umgekehrt führt Alkoholabstinenz oder Konsumreduktion praktisch immer zu einer Blutdrucksenkung.
Alkohol beeinflusst den Blutzucker und ist für Menschen mit Diabetes mit dem Risiko einer Hypoglykämie verbunden. Durch den Abbau des Alkohols kann der Körper nicht mit ausreichend Zucker versorgt werden und die Zuckerneubildung ist gestört. Dieser Mechanismus ist unabhängig vom Alter. Das führt dazu, dass der Blutzucker bei alkoholabhängigen Diabetikern schwierig zu kontrollieren ist.
In einer australischen Studie untersuchten die Forscher um Jennie Brand-Miller (2007) den Einfluss von drei Sorten alkoholischer Getränke auf den postprandialen Blutzuckeranstieg bei gesunden Personen. Als Referenzdaten galt eine Alkoholzufuhr von Weisswein, Bier oder Gin einer Portion Weissbrot mit jeweils 1.000 Kilojoule. Anschliessend untersuchte die Forschungsgruppe die Kombination aus einer Testmahlzeit (Weissbrot und Margarine) zu einem mit Wasser, zum anderen mit einem von den vorher genannten alkoholischen Getränken. Im dritten Versuch kontrollierten die Forscher den Einfluss eines Aperitifs, bestehend jeweils aus 20 Gramm Alkohol in Form von Bier, Weisswein oder Gin, und einer im Kohlenhydratanteil gleichen Mahlzeit. Hier zeigte Bier in Kombination mit dem Testessen den niedrigsten Anstieg von Glucose im Blut. Auslöser ist der schon vor dem Testessen leicht gestiegene Blutglucosespiegel aufgrund des eigenen Kohlenhydratanteils des Bieres.
Fazit: Unabhängig von der Sorte des alkoholischen Getränks zu einer Mahlzeit konnte die Studie insgesamt eine Senkung des Blutzuckeranstiegs mit der dazugehörigen Insulinantwort um bis zu 37 Prozent zeigen.
Stürze sind eine wichtige Ursache für Morbidität und Mortalität bei älteren Menschen. Das Sturz- und Verletzungsrisiko ist mit zunehmendem Alter erhöht. Die Folgen sind leichte bis schwere Verletzungen, Verlust von Unabhängigkeit, eine reduzierte Lebensqualität oder der Tod durch medizinische Komplikationen. Darüber hinaus kann die Angst vor neuerlichen Stürzen zu einem zunehmenden Rückzug führen mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für das soziale Miteinander.
Männer haben ein höheres Risiko als Frauen: 40 % der älteren Menschen über 65 stürzt mindestens einmal pro Jahr. Fünf Gesundheits- und verhaltensbasierte Faktoren wurden als bedeutsame Risikofaktoren bei älteren Menschen ab 85 Jahren oder älter identifiziert, welche mit einem erhöhten Sturz-Risiko verbunden sind (Grundstrom et al. 2012): zunehmender Body-Mass-Index; nicht ausreichend Schlaf im vergangenen Monat; gesundheitliche Probleme, welche eine Gehhilfe notwendig machen; mindestens ein alkoholisches Getränk in der letzten 30 Tagen; ein erlittener Schlaganfall.
In mehreren Studien war ein leichter bis moderater Konsum von Alkohol (bis max. 20-40 g Alkohol/Tag) mit einer erhöhten Knochenmineraldichte assoziiert. Das wirkte sich bei Frauen nach der Menopause vorteilhaft aus. Im Bewusstsein der potentiell schädlichen Effekte von Alkohol können jedoch keinerlei Empfehlungen aus diesen Erkenntnissen abgeleitet werden (Macdonald et al. 2007; Klatsky 2007; Tucker et al. 2009).
Psychosoziale Risikofaktoren
Psychosoziale Belastungen stehen in der Regel im Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen oder einer anhaltenden erschwerten Lebenssituation und werden oft von Stressreaktionen und ihren Folgen begleitet.
Die Zusammenhänge sind weitgehend bekannt. Allerdings ist zu differenzieren, ob der Alkoholkonsum zur Depression geführt hat oder die Depression zum Alkoholkonsum. Weitere Hinweise finden Sie unter Psychiatrische Komorbiditäten und Depression bei älteren Erwachsenen.
Ein problematischer Alkoholkonsum kann die kognitiven Fähigkeiten nachteilig beeinflussen; die schädlichen Auswirkungen sind in der Literatur vielfach beschrieben. Bei Alkoholabhängigkeit sind neuropsychologische Defizite zu beobachten, die vor allem exekutive Funktionen, visuell-räumliche Fähigkeiten, sprachliche Fertigkeiten und motorische wie sensorische Funktionen betreffen. Viele zeigen jedoch nach langjährigem Alkoholkonsum unter späterer Abstinenz keine neuropsychologische Leistungsminderung mehr. Eine wachsende Zahl der Literatur untersucht das Ausmass der Wiederherstellung der kognitiven Funktionen, welche durch eine Langzeit-Abstinenz erreicht werden kann. Allerdings gibt es noch einen Mangel an veröffentlichten Ergebnissen, vor allem in Bezug auf ältere Menschen. Häufig ist in der klinischen Praxis eine Persönlichkeitsveränderung zu beobachten (Wolter 2010; Fein/McGillivray 2007).
Die Ergebnisse einer Studie (Wolter 2010) zeigen auf, dass es auch bei älteren Menschen grundsätzlich möglich ist, durch eine langfristige Abstinenz eine weitgehende Normalisierung der kognitiven Funktionen zu erreichen – insbesondere in den Bereichen Konzentration, Wortfluss, Abstraktionsvermögen, Gedächtnis und Reaktionsfähigkeit. Offen bleibt, ob die Effekte ausschliesslich auf die Abstinenz von Alkohol oder zusätzlich auch auf Trainingsmassnahmen zurückgeführt werden können.
Phobien und Panikstörungen (insbesondere im Zusammenhang mit frühkindlichen Traumatisierungen, z. B. durch Verlust der Eltern) haben starke Auswirkungen auf die Lebensqualität im Alter. Analysen haben gezeigt, dass spezifische Phobien häufiger bei Frauen mit stressbedingten Lebensereignissen vorkommen. Darüber hinaus waren derartige Panikstörungen häufiger mit niedrigerem Einkommen assoziiert. Bei entsprechenden Risikokonstellationen konnten häufiger depressive Störungen, höherer Alkoholkonsum und eine niedrigere gesundheitsbezogene Lebensqualität festgestellt werden. Vice versa führte ein erhöhter Alkoholkonsum zu einem Anstieg des Risikos für das Auftreten der oben genannten psychosozialen Risikokonstellationen und psychiatrischen Erkrankungen (Chou 2009, 2010).
Der Verlust eines Ehepartners gilt als ein erheblicher Risikofaktor und steht an erster Stelle bei den kritischen Lebensereignissen. Dieser Faktor kann sich negativ auf den Gesamtzustand der Gesundheit, das familiäre Umfeld und auch auf die sozialen Kontakte auswirken. Die Folge können ein erhöhter Alkoholkonsum, eine allgemein schlechtere Gesundheit und ein erhöhtes Risiko für depressive Verstimmungen sowie den Rückzug aus sozialen Aktivitäten sein (Moos et al. 2010).
Das soziale Umfeld und die Einflüsse der Lebensgeschichte sowie die aktuelle Lebenssituation spielen eine grosse Rolle bei der Motivation zum Alkoholkonsum. Als wichtige Risikofaktoren wurden vier Hauptarten von Trinkmotiven identifiziert (Beseler et al. 2008, Cooper 1994, Cooper et al. 1995):
- Trinken, um soziale Belohnungen zu erhalten oder um eine Verbesserung der sozialen Interaktionen zu erreichen
- Trinken, um positive Stimmung zu steigern
- Trinken, um negative Stimmung zu verringern
- Trinken, um soziale Ablehnung zu vermeiden, in Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Normen
Quellen
- Beseler C, Aharonovich E, Keyes K, Hasin D. Adult transition from at-risk drinking to alcohol dependence: the relationship of family history and drinking motives. Alcoholism, clinical and experimental research 2008; 32, 607-16.
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- Wolter D. Sucht im Alter – Altern und Sucht. Grundlagen, Klinik, Verlauf und Therapie. Stuttgart: Kohlhammer; 2010.