Ärzteschaft: Alkohol

Therapie

Die Erfolgschancen einer therapeutischen Intervention bei älteren Menschen mit alkoholbezogenen Störungen sind relativ hoch. Vor allem für die Gruppe der Late-Onset-Drinkers ermutigen die Erfolge aus der Praxis. Es gibt sogar Hinweise, dass diese Patientengruppe besser auf Therapie anspricht als jüngere Suchtkranke (vgl. Schnoz et al. 2006).

Die therapeutischen Interventionen stützen sich grösstenteils auf bereits bekannte und erprobte Methoden und passen diese den besonderen Erfordernissen des Alters an. Zur Behandlung älterer Männer und Frauen haben sich insbesondere die Kognitive Verhaltenstherapie und die Pharmakotherapie bewährt und als wirksam erwiesen. Auch ein medikamentös unterstützter Entzug kann erfolgreich sein und sollte in Betracht gezogen werden.

Psychotherapie bei älteren Menschen ist sinnvoll und erfolgreich (Radebold/Hirsch 1994). Beste Behandlungsergebnisse werden durch Behandlungen erzielt, die auf die Zielgruppe abgestimmt und zugeschnitten sind (Satre et al. 2003; Benshoff/Harrawood 2003; Geyer/Penzek 2007). Wichtige Rahmenbedingungen die interprofessionelle Vernetzung (mit der Altenhilfe, Medizin, Beratungsstellen etc.), Kenntnisse des Erwachsenenschutzrecht, sowie der Einbezug von Angehörigen.

Die Ziele einer Psychotherapie bei älteren Menschen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen bei jüngeren Personen. Im Zentrum stehen die Wiedererlangung eines möglichst selbstbestimmten und würdevollen Lebens, die Sicherung des Überlebens und allgemein Verbesserung von Gesundheit und sozialer Integration. Bezüglich des Suchtverhaltens sind die Unterstützung zur Konsumreduktion, die Motivation zur suchtmittelfreien Lebensgestaltung oder das Hinarbeiten auf dauerhafte Abstinenz mögliche Ziele.

Die Beratungs- und Behandlungspraxis zeigt jedoch deutlich, dass der Beratungs- und Therapiestil bei älteren Menschen angepasst werden muss. Lebenssituation und Lebensthemen älterer Menschen bestimmen das Gespräch, wie auch Ängste, belastende Lebensereignisse (life-events) und insbesondere die in vielen Fällen zunehmende Vereinsamung der betroffenen Menschen. Die Integration von stützenden, annehmenden (nicht konfrontativen) Therapiestilen sowie das Tempo der Behandlung und der Zielerreichung muss dem Gegenüber angepasst werden. Geregelte Tages- und Wochenstruktur, körperliche, intellektuelle und kreative Beschäftigungsangebote unterstützen diesen Prozess und können zu einer erfolgversprechenden Behandlung beitragen.

Bei der Behandlung älterer Männer und Frauen müssen Besonderheiten in der Kommunikation berücksichtigt werden – diese gestaltet unter Umständen sich anders als mit Jüngeren.  altersbedingte Einschränkungen wie Reduktion von Mobilität, Motorik, Mimik, Gestik, Einschränkungen der Hörfähigkeiten, verändertes Ausdrucksverhalten können auftreten. Ältere Menschen neige zudem zu einem narrativen Kommunikationsstil, d.h. Kommunikation über „Geschichten“ und Erlebnisse. Das Thematisieren des eigenen Lebensalters ermöglicht der älteren Person, Distanz zur eigenen Geschichte zu schaffen und wirkt identitätssichernd.

Grundlage der kognitiven Therapie (als ein Bestandteil der Verhaltenstherapie) ist die Erkenntnis, dass bestimmte immer wieder auftretende Gedanken und Überzeugungen (Schemata) wie ein immer wieder auftretendes Muster unser Verhalten im Alltag prägen. Bei psychischen Störungen lassen sich somit auch sehr typische Gedanken und Einstellungen erkennen und zusammen mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten schrittweise verändern. Hierbei handelt es sich häufig um Gedanken, die die Abhängigkeit aufrechterhalten oder sogar noch verstärken und die Betroffenen davon abhalten, eine Änderung in ihrem Verhalten und Leben wirklich in Angriff zu nehmen. Typisch ist dabei, dass man zunächst davon überzeugt ist, dass diese Gedanken allgemeingültig und zutreffend sind. Sie werden aber nicht (mehr) auf ihren wirklichen Wahrheitsgehalt und konkrete Berechtigung im Einzelfall überprüft, sondern automatisch als richtig angesehen.

Die Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie in der Behandlung alkoholbezogener Störungen ist durch eine Vielzahl qualitativ hochwertiger empirischer Studien belegt (Lieb et al. 2008). Dies trifft auch für die ältere Bevölkerung zu.

Bei einer Alkoholabhängigkeit werden Medikamente meistens zur Linderung von Entzugssymptomen oder zur Aufrechterhaltung der Abstinenz als Ergänzung zu psychotherapeutischen Interventionen eingesetzt. Darüber hinaus werden auch begleitende psychiatrische Störungen (sogenannte Komorbiditäten), wie beispielsweise depressive Episoden, Angst- oder Schlafstörungen mit psychotrop wirksamen Medikamenten behandelt. Die meisten Anwendungsuntersuchungen der Medikamente schliessen Menschen bis zum 60. bzw. 65. Lebensjahr ein, sodass die unten aufgeführten Angaben bis zu diesem Alter grundsätzlich gelten. Erschwerend bei der Pharmakotherapie der Suchterkrankung bei älteren Menschen sind auch die Mehrfachverschreibungen und somit die Interaktionen von Pharmakowirkungen, die berücksichtigt werden müssen (vgl. auch Alkohol und Medikamente).

Meist ist es das Verlangen nach Alkohol (Craving), welches zum Konsum bzw. zu einem Rückfall führt. Erfahrungsgemäss ist das Craving, also der Suchtdruck nach Alkohol in der ersten Zeit der Abstinenz am stärksten. Deshalb werden sogenannte Anti-Craving Substanzen eingesetzt, um die Abstinenzfähigkeit und damit die Prognose zu verbessern. Voraussetzung für den Einsatz in der Alkoholismusbehandlung ist, dass die Substanz gut verträglich ist, das Verlangen nach Alkohol und/oder die konsumierten Trinkmengen zu reduzieren oder besser noch, den Rückfall bei bestehender Abstinenz zu verhindern vermag und selbst kein Abhängigkeitspotenzial besitzt. Wichtigste Vertreter der Anti-Craving Substanzen sind Acamprosat (z. B. Campral®) und Naltrexon (z. B. Naltrexin®). Zur Verhinderung eines Alkoholrückfalls kommt darüber hinaus noch das Aversivmedikament Disulfiram (z. B. Antabus®) zum Einsatz.

Insgesamt ist bei guter Verträglichkeit auch von einer guten Wirksamkeit der Anti-Craving Substanzen Acamprosat und Naltrexon bei älteren Menschen auszugehen. Die Nebenwirkungen und Kontraindikationen sind dringend zu beachten. Der Einsatz von Disulfiram ist wegen der erheblichen Risiken durch Nebenwirkungen und Kontraindikationen sehr kritisch zu sehen. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Einsatz der Medikamente im Alter stehen noch aus. Deshalb sollte die Indikation zum Einsatz und der Überwachung von einem in Suchtfragen älterer Menschen erfahrenen Facharzt gestellt und therapeutisch begleitet werden.

Disulfiram (z. B. Antabus®)

Disulfiram wird als Aversivmedikament bezeichnet, weil es den Alkoholabbau blockiert, sodass es zur Kumulation der toxischen Substanz Acetaldehyd im Körper kommt. Dies führt bei gleichzeitiger Einnahme des Medikaments und Alkoholkonsum zu Symptomen wie Hautrötung, Blutdruckabfall, Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen etc. Bei engmaschig betreuter Einnahme ist die Wirksamkeit im oben angegebenen Sinne bei entsprechend hoher Motivation gut. Grenzen sind dem Einsatz gesetzt durch die potentiell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen bei Alkoholkonsum. Deshalb wird eine hohe Compliance der Betroffenen vorausgesetzt. Darüber hinaus sollte Disulfiram u.a. nicht eingesetzt werden bei Depressionen, Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Durchblutungsstörungen, die bei älteren Menschen häufiger auftreten als bei jüngeren. Aus diesen Gründen kann der Einsatz von Disulfiram bei über 60-jährigen nicht empfohlen werden.

Acamprosat (z.B. Campral®)

Das Medikament beeinflusst höchstwahrscheinlich die vom Gehirn über sogenannte NMDA-Rezeptoren gesteuerte erhöhte Erregbarkeit/Aktivität bei Entzug des Alkohols. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen eine positive Wirksamkeit auf die Abstinenzrate und die Anzahl der trinkfreien Tage. Unter kontinuierlicher Psychotherapie wurden bei einer Behandlungsdauer von 1 Jahr nach Abstinenz die besten Effekte erzielt. Wesentliche Nebenwirkungen sind Durchfälle mit der Gefahr eine Dehydratation, Kopfschmerzen sowie Juckreiz. Nicht genommen werden sollte Acamprosat bei Nieren- und schwerer Leberinsuffizienz. Acamprosat gilt jedoch als grundsätzlich gut verträglich und weist ein niedriges Interaktionspotential mit anderen Pharmaka auf. Aus diesen Gründen ist Acamprosat trotz der Beschränkung der Indikation auf < 65-jährige potentiell geeignet zur Abstinenzunterstützung älterer Alkoholabhängiger.

Naltrexon (z.B. Naltrexin®)

Naltrexon ist ein sogenannter kompetitiver vornehmlich µ-Opiat-Rezeptor-Antagonist. Das Medikament hemmt die über Endorphine vermittelte positiv verstärkende Wirkung des Alkohols und wirkt dem Alkoholverlangen entgegen. Neben dem Anti-Craving-Effekt kann das Medikament auch eingesetzt werden, wenn es zu einem Trinkrückfall gekommen ist. In diesem Fall konkurriert es im Gehirn um die Bindungsstellen mit dem Alkohol, was zu einer verminderten Alkoholwirkung führt und nach zahlreichen Studien auch dazu beitragen kann, dass der Alkoholkonsum nicht weiter fortgesetzt wird oder zumindest, dass weniger Alkohol konsumiert wird, als ohne Einnahme des Medikaments. An Nebenwirkungen können u.a. Übelkeit, Erbrechen und Schwindel auftreten. Bei schweren Leberfunktionsstörungen sollte das Medikament nicht eingesetzt werden. Naltrexon scheint wegen seines insgesamt günstigen Nebenwirkungsprofils zwar zur unterstützenden Therapie der Alkoholabhängigkeit im Alter geeignet zu sein, laut Fachinformation des Herstellers gilt jedoch eine Altersbeschränkung bis 65 Jahre.

Quellen

  • Benshoff JJ, Harrawood LK. Substance abuse and the elderly: Unique issues and concerns. Journal of Rehabilitation 2003; 69(2): 43-48.
  • Geyer D, Penzek C. Wirkfaktoren in der stationären Rehabilitation älterer Alkoholabhängiger. In: Fachverband Sucht e.V. (Hrsg.). Wirksame Therapie. Wissenschaftlich fundierte Suchtbehandlung. Geesthacht: Neulandi; 2007. S. 305-316.
  • Lieb B, Rosien M, Bonnet U, Scherbaum N. Alkoholbezogene Störungen im Alter – Aktueller Stand zu Diagnostik und Therapie. Fortschr Neurol Psychiatr 2008; 76: 75-85.
  • Radebold H, Hirsch R. (Hrsg.). Altern und Psychotherapie. Bern: Huber; 1994.
  • Satre D, Knight B, Dickson-Fuhrmann E., Jarvik L. Predictors of alcohol-treatment seeking in a sample of older veterans in the GET SMART program. Journal of the American Geriatrics Society 2003; 51: 380-6.
  • Schnoz D, Salis Gross C, Grubenmann D, Uchtenhagen A. Alter und Sucht. Recherche und Dokumentation zu evaluierten Interventionen. Zürich: Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung (ISGF); 2006.

Informationen für Ärzteschaft

Rat und Hilfe

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