Ärzteschaft: Medikamente

Folgen einer Langzeiteinnahme

Die regelmässige Einnahme von Benzodiazepine und Analoga (BZDA) kann zu einer Toleranzentwicklung führen, die einen Wirkverlust für den sedativen, muskelrelaxierenden und antikonvulsiven Effekt nach sich zieht. Im Bewusstsein der Gefahr einer möglichen Abhängigkeit wird die Dosis dennoch oftmals nicht wesentlich gesteigert. Absetzversuche wiederum führen zu Entzugserscheinungen, welche als Symptomatik der Grunderkrankung (fehl-)interpretiert werden. Daraus kann eine Langzeiteinnahme erfolgen, um die Entzugserscheinungen zu vermeiden. Der positive Effekt bleibt jedoch aufgrund des Wirkverlustes aus.

In der wissenschaftlichen Literatur wird dieses Dilemma als Niedrigdosisabhängigkeit (Low-Dose-Dependency) bezeichnet, da die Abhängigkeitskriterien gemäss ICD-10 bzw. DSM-IV und DSM-V nicht erfüllt sind. Die meisten Betroffenen betrachten sich auch nicht als abhängig. Hier eignet sich das 3-Phasen-Modell nach Holzbach (2010), um die mögliche Entwicklung einer Niedrigdosisabhängigkeit fassbar und leicht verständlich zu machen.

Nebenwirkungen, welche im Verlauf einer Langzeiteinnahme auftreten können, lassen sich typischerweise in drei Phasen unterteilen:

Aufgrund der Wirkumkehr treten relative Entzugserscheinungen auf (die jedoch oftmals nicht als solche erkannt werden). Die Toleranzentwicklung basiert auf der Gegenregulation des Körpers, die dazu führt, dass sich eine geringere Wirksamkeit einer ursprünglich ausreichenden Dosis einstellt. Da Patientinnen und Patienten die Dosis üblicherweise nicht frei wählen können (anders als beispielsweise bei Tabak oder Alkohol), führt die im Verlauf zunehmende Toleranzentwicklung dazu, dass die Patientinnen und Patienten unterdosiert sind. Die daraufhin auftretenden Gegenregulationsmechanismen des Körpers gleichen folglich den Symptomen eines (partiellen) Entzugs, werden aber oftmals nicht als solche erkannt. Häufig äussern sie sich in Schlafstörungen oder affektiven Labilität. Durch die Einnahme weiteres BZDA werden diese Symptome gemildert bzw. verschwinden ganz und werden gleichzeitig durch diese aufrecht erhalten. Fälschlicherweise können diese Symptome sogar als Bestätigung missverstanden werden, dass die ursprünglich für die Indikation verantwortlichen Symptome wieder bzw. noch vorhanden sind und daher eine Weiterführung der BZDA-Abgabe angezeigt sei. Das Phänomen ist in der Medizin auch im Zusammenhang mit analgetika-induzierten Kopfschmerzen bereits gut bekannt. Vermutlich tritt das Phänomen potentiell auch bei anderen Suchtmitteln auf, wird aber dort dadurch «kaschiert», dass die Dosis relativ einfach selbstständig erhöht werden kann.

Diese tritt auf, wenn im Verlauf die Dosis der BZDA moderat gesteigert wird. Hierbei handelt es sich um eine typische Trias aus affektiver Indifferenz, Einbussen in gedächtnisspezifischer und kognitiver Hinsicht sowie fehlender, körperlicher Energie. Besonders ältere Menschen sind in dieser Phase durch die muskelrelaxierende Wirkung und eine Minderung der Reaktionsfähigkeit erheblich sturzgefährdet. Die in dieser, auch als «Apathiephase» beschriebenen Veränderung können aber auch durch andere Erkrankungen (z. B. depressive Störungen) auftreten. Dieser Umstand macht eine eindeutige Zuordnung für Ärztinnen und Ärzte oftmals schwierig. Die differenzialdiagnostische Überlegung kann letztlich nur mit Bestimmtheit nach dem Ausschleichen der BZDA-Medikation gestellt werden. Es ist davon auszugehen, dass im Falle eines Vorliegens von depressiven Störungen als Ursache, dieses Symptome durch die Langzeiteinnahme von BZDA nicht verbessert, sondern gar verstärkt werden. Auch deshalb ist eine Langzeitbehandlung vor diesem Hintergrund nicht indiziert.

Diese, auch als «Sucht-Phase» betitelte Form, tritt in der Regel nur auf, wenn die Patientin/der Patient über zusätzliche Bezugsquellen verfügt und die durch den primär behandelnden Arzt/die primär behandelnde Ärztin ausgeübte Kontrolle verloren geht. Bezugsquellen sind typischerweise weitere Ärztinnen und Ärzte, die nichts von der Primärbehandlung wissen. In selteneren Fällen können auch illegale Bezugskanäle (z. B. über das Internet) eine Rolle spielen. In dieser Phase können die üblichen Suchtkriterien nach ICD-10 angewendet werden. Sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht dann nicht mehr von anderen Suchterkrankungen, wie beispielsweise derjenigen im Alkohol- oder Opioidbereich.

Quellen

  • Deutsche Haupstelle für Suchtfragen. www.medikamente-sucht.de. Pharmakologie und Behandlung. Benzodiazepine. http://www.medikamente-und-sucht.de/behandler-und-berater/pharmakologie-und-behandlung/benzodiazepine.html, Zugriff 12.09.2018.
  • Holzbach R. Benzodiazepin-Langzeitgebrauch und -abhängigkeit, Fortschrittliche Neuronale Psychiatrie 2010; 78: 425-434.

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