Ärzteschaft: Alkohol

Diagnostik

Die Übergänge von einem problematischen oder schädlichem Konsum zu einer Abhängigkeit sind schleichend (vgl. Die Entwicklung einer Abhängigkeit) und zeichnen sich durch Veränderungen des Verhaltens und der Körperfunktionen aus, die auf körperliche sowie psychische Störungen und/oder soziale Veränderungen durch den erhöhten Alkoholkonsum zurückzuführen sind. Die medizinische Diagnose wird durch eine Suchtanamnese, die Beurteilung des aktuellen Befindens und eine körperliche Untersuchung gestellt.

Die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit wird anhand zweier internationaler Diagnosesysteme erstellt: die «Internationale Klassifikation der Krankheiten» (International Classification of Diseases, ICD) der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) in der 10. Version (kurz von ICD-10) sowie das «Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen» (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM) der American Psychiatric Association (APA) in der 4. respektive 5. Version. Beide Klassifikationssysteme beinhalten ein Kapitel über Störungen verursacht durch den Konsum von psychotropen Substanzen. ICD-10 unterscheidet hier zwischen Abhängigkeitssyndrom und schädlichem Gebrauch, während DSM-IV zwischen Abhängigkeit und Missbrauch differenziert. DSM-V verzichtet auf die Kategorisierung der Abhängigkeit und unterscheidet stattdessen verschiedene Schweregrade einer alkoholbezogenen Störung.

Bei der Interpretation der diagnostischen Kriterien von Missbrauch und Sucht ist bei älteren Menschen Vorsicht geboten, eine direkte Übertragung ist nicht immer möglich. Zudem muss beachtet werden, dass die Diagnose der Alkoholabhängigkeit nach ICD-10 oder DSM-IV kategorial erfolgt. Die dimensionale Entwicklung vom regelmässigen über den problematischen Konsum bis hin zur Abhängigkeit wird hierdurch nicht abgebildet (siehe Die Entwicklung einer Abhängigkeit).

Die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit nach ICD-10 wird gestellt, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien erfüllt waren:

  • ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren (Craving)
  • verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums (Kontrollverlust)
  • ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums
  • Nachweis einer Toleranz (um die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichten Wirkungen hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich)
  • fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen
  • anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, wie z. B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, depressive Verstimmungen infolge starken Alkoholkonsums oder eine Verschlechterung der kognitiven Funktionen

Im Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen DSM-V wird die Kategorisierung der Abhängigkeit verlassen und durch das Konzept der alkoholbezogenen Störung ersetzt. Dabei wird zwischen «milder», «moderater» und «schwerer» Störung unterschieden. Mindestens 2-3 der folgenden Kriterien müssen innerhalb eines 12-Monats-Zeitraumes aufgetreten sein, um eine Diagnose stellen zu können. 2 bis 3 erfüllte Kriterien werden als «milde», 4 bis 5 Kriterien als «moderate», 6 und mehr Kriterien als «schwere» alkoholbezogene Störung klassifiziert.

  • Wiederholter Substanzgebrauch, der zum Versagen bei wichtigen Verpflichtungen in der Schule, bei der Arbeit oder zu Hause führt.
  • Wiederholter Substanzgebrauch in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann.
  • Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme
  • Toleranzentwicklung charakterisiert durch ausgeprägte Dosissteigerung oder verminderte Wirkung unter derselben Dosis
  • Entzugssymptome oder deren Linderung beziehungsweise Vermeidung durch Substanzkonsum
  • Einnahme der Substanz in grösseren Mengen oder länger als geplant
  • Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch zu verringern oder zu kontrollieren
  • Hoher Zeitaufwand für Beschaffung und Konsum der Substanz oder um sich von ihren Wirkungen zu erholen
  • Aufgabe oder Einschränkung wichtiger Aktivitäten aufgrund des Substanzkonsums
  • Fortgesetzter Konsum trotz körperlicher oder psychischer Probleme
  • Craving, das starke Verlangen nach der Substanz

ICD-10 oder DSM-V?

Im westeuropäischen Raum ist die Verwendung des ICD-10 weitaus geläufiger. Auch ist der Paradigmawechsel, welcher durch das DSM-V (im Gegensatz zu DSM-IV) eingeleitet wurde, fachlich umstritten. Dies heisst aber nicht, dass er durchaus auch Vorteile bieten kann. So zeigt die empirische Befundlage, dass die Kriterien für die Abhängigkeit und die Missbrauchsdefinition auf einem Schweregradkontinuum liegen. Diesem Umstand kann durch die Kategorisierung des DSM-V eher Rechnung getragen werden. Es ist dennoch offen, ob sich diese neue Kategorisierung in der Fachwelt durchsetzen wird. Einiges deutet darauf hin, dass es eher zu einer Ergänzung des bisherigen Paradigmas der Abhängigkeit, statt zu dessen Ablösung gekommen ist. Für die diagnostische Abklärung in der Schweiz wird hier, bezugnehmend auf die hohe Validität und den tief verankerten Gebrauch im internationalen Kontext, die Bevorzugung des ICD-10 empfohlen.

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