Fachpersonen: Alkohol und Medikamente
Umgang mit Konsum im Alltag (Frühinterventionskonzept)
Das Frühinterventionskonzept verleiht den Mitarbeitenden mehr Handlungssicherheit und ermöglicht den gefährdeten Personen frühzeitige Unterstützung. Da die Ausgestaltung sowohl der Arbeit als auch der Organisation von Betrieb zu Betrieb genauso unterschiedlich sein kann wie die Vorstellungen und Haltungen der Mitarbeitenden, gilt es bei der Entwicklung des Konzeptes folgende Punkte zu beachten:
- Das Konzept sollte betriebsgebunden formuliert werden, also immer an den lokalen und institutionellen Gegebenheiten anknüpfen und abteilungsübergreifend angelegt sein. Baut ein vernetztes und systemisches Vorgehen darauf auf, bestehen gute Chancen, das Konzept Früherkennung und Frühintervention nachhaltig im Betrieb zu verankern.
- Die Entwicklung des Konzeptes sollte prozesshaft erfolgen. Dabei sind die betriebseigenen Erfahrungen – auch Reibungen und Widerstände – im Verlauf der Erarbeitung von zentraler Bedeutung.
- Frühintervention kann nicht an externe Fachleute oder Institutionen delegiert werden. Mögliche Massnahmen müssen immer auf die Organisation bzw. den Betrieb abgestimmt sein. Die Verantwortungsträger:innen spielen aufgrund ihrer Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse eine zentrale Rolle. Sie bringen die notwendigen Kenntnissen der lokalen Situation, der organisationstypischen Zusammenhänge sowie spezifischen Verflechtungen mit. Diese können von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein.
- Der Beizug einer externen Fachperson für die Konzepterarbeitung kann unterstützend und entlastend sein. Idealerweise verfügt die Fachperson über Know-how in der Suchtarbeit und in der Organisationsentwicklung. Angefragt werden können Sucht- und Präventionsfachstellen (siehe Suchthilfe vermitteln).
Für ein Frühinterventionskonzept gibt es kein Patentrezept. Dagegen gilt: Ein sorgfältig erarbeitetes Frühinterventionskonzept spricht für die Qualität eines Betriebes, ergänzt sein Profil und bringt schliesslich auch einen Imagegewinn in der Öffentlichkeit.
Umsetzung im Betrieb
Die Erarbeitung eines Frühinterventionskonzepts wird sinnvollerweise im Rahmen eines Projekts durchgeführt. In der Praxis hat es sich bewährt, die folgenden fünf Phasen bei der Planung und Durchführung von Projekten in Organisationen zu berücksichtigen. Die Umsetzungsbeispiele erläutern den Prozess der Konzepterarbeitung anhand eines konkreten Beispiels eines mittelgrossen Alters- und Pflegeheims.
In einem ersten Schritt stellt sich die Frage, ob innerhalb des Betriebes die notwendigen Ressourcen, insbesondere Zeit und Personal vorhanden sind, um ein Frühinterventionskonzept zu erstellen. Besonders in komplexen Fällen ist es sinnvoll, eine externe Fachperson für die Begleitung des Entwicklungsprozesses beizuziehen, idealerweise eine Fachperson aus dem Suchtbereich mit Know-how in der Organisationsentwicklung. Dann ist eine Auftragsklärung sinnvoll, die ein Vorgespräch zwischen der Betriebsleitung, eventuell einer Steuergruppe und der externen Fachperson beinhaltet. Bei der konkreten Planung zur Entwicklung eines Frühinterventionskonzeptes sollten die folgenden Punkte berücksichtigt werden:
- Eine Bestandesaufnahme wird durchgeführt, die aufzeigt, welche Elemente des Konzeptes bereits vorhanden sind und welche Lösungsansätze schon bearbeitet wurden. Ebenso werden die Struktur und die Abläufe sowie die finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen und das vorhandene Know-how festgehalten. All dies ist im Kontext äusserer Rahmenbedingungen, namentlich gesetzlicher Vorgaben oder Bedingungen der Finanzgeber zu sehen, welche den Gestaltungsspielraum weitgehend abstecken.
- Das Gesamtteam wird über Sinn und Zweck der Frühintervention und die Projektgestaltung informiert.
- Die notwendige Steuergruppe/Projektleitung für den Entwicklungsprozess wird gebildet. Sie legt Meilensteine im Prozess der Konzeptentwicklung fest, welche als Orientierungspunkte beim schrittweisen Vorgehen dienen.
Die Ist-Soll-Analyse lässt sich in zwei Teile gliedern: In einem ersten Schritt wird eine gemeinsame Situationsanalyse durchgeführt. Diese erfolgt durch die Projektgruppe und/oder Steuergruppe, unter Berücksichtigung der verschiedenen Erfahrungen, des unterschiedlichen Know-hows sowie der Interessen und Bedürfnisse. Je nach Bedarf werden weitere Personen mit unterschiedlichen Funktionen innerhalb des Betriebs einbezogen. Im zweiten Schritt gilt es hinsichtlich der Wahrnehmung und Einschätzung problematischer Verhaltensweisen und Gefährdungen eine gemeinsame Haltung zu finden. Dies bezieht sich auch auf die grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Sucht- und Genussmittelkonsum im Betrieb.
Aus dem Prozess der Haltungsfindung resultiert die Formulierung von Leitsätzen, welche als Basis für die spätere Festlegung verbindlicher Richtlinien und Regeln dienen. Schliesslich werden die Handlungsfelder für die Erarbeitung des Frühinterventionskonzeptes benannt. Auf diese Weise wird erreicht, dass die Frühintervention im ganzen Team abgestützt ist, was eine wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Gelingen ist.
Die Planung der Handlungsfelder umfasst vier wesentliche Punkte:
- Ausformulierung eines Handlungsplans «Frühintervention», der verbindliche Vorgehensweisen im Prozess der Erkennung der Auffälligkeit bis zur geeigneten Intervention festlegt. Ebenso werden darin die Prozessabläufe mit den Fachstellen und nahe stehenden Personen geklärt (Festlegung der Rollen, Kompetenzen und Vorgehensweisen).
- Festlegung der internen und externen Zusammenarbeit (z. B. mit Suchtfachstellen, siehe Suchthilfe vermitteln) in Bezug auf gefährdete Klient:innen.
- Formulierung einer Anleitung für Mitarbeitende zum Umgang mit gefährdeten Klient:innen sowie ihnen nahe stehenden Personen. Die Anleitung beschreibt das Vorgehen praxisnah auf konkrete Art und Weise.
- Schulung der Mitarbeitenden, welche jeweils auf deren Funktion und fachliche Kompetenz abgestimmt wird (z. B. Schulungen betreffend Gesprächsführung, systematischem Beobachten oder Weiterleiten von Informationen).
Idealerweise wird dieses Vorgehen in das betriebliche Gesundheits- und Qualitätsmanagement eingebettet. In diesem Kontext muss auch der Umgang mit älteren Menschen, die Folgeschäden einer Abhängigkeit aufweisen, geregelt sein, bei denen es nicht mehr um Früherkennung oder -intervention, sondern um die Stabilisierung der gegenwärtigen Situation bzw. die Verhinderung einer Verschlechterung geht.
Die Umsetzung in den Handlungsfeldern erfordert eine Reihe von Massnahmen:
- Formulierung der Leitsätze, die anschliessend dokumentiert und abgelegt werden (evtl. Verknüpfung mit dem Gesundheits- und/oder Qualitätsmanagement)
- Erstellen der Ablaufplanung
- Erstellen und/oder Anpassen von Instrumenten wie der Eintrittsvereinbarung, des Beobachtungsbogens «Signale erkennen», der Gesprächsführung (siehe Kurzintervention)
- Klärung der Aufgaben und Kompetenzen der einzelnen Dienste, insbesondere auch mit den Stabsstellen
- Festlegung der internen und externen Zusammenarbeit
- Schulung der Mitarbeitenden in Beobachtung (Abgrenzung zur Interpretation) und Intervention, zugeschnitten auf deren Funktion und fachliche Kompetenz
- Durchführung einer Informationsveranstaltung mit der gesamten Belegschaft, unter Einbezug aller Bereiche, also auch der Hauswirtschaft, des Technischen Dienstes usw., über den künftig geltenden Ablauf und die Haltung des Betriebes
Bei Projektabschluss sollten die erarbeiteten Ergebnisse unter allen Mitarbeitenden und der Lernprozess als Teil der Betriebskultur («lernende Organisation») verankert sein. Die Prozessevaluation erfolgt unter Einbezug des Projektteams und weiterer Schlüsselpersonen.
Nachhaltigkeit
Die Basis für Qualität und Nachhaltigkeit bei der Erarbeitung und Einführung eines Frühinterventionskonzeptes bilden drei wesentliche Massnahmen:
- Die Klärung, Überprüfung und Anpassung von organisationalen Strukturen und Abläufen
- Die Festlegung und Reflexion von Haltungen und Visionen durch die Projektleitung respektive Führungsebene
- Die Erweiterung der fachlichen Kompetenzen des Personals mittels Schulungen
Der Einbezug der Mitarbeitenden in den Prozess fördert die Identifikation sowohl mit dem Konzept als auch mit der Organisation. Durch den Erwerb bzw. die Vertiefung von Kompetenzen, die für den Umgang mit Klient:innen erforderlich sind, nimmt die Handlungssicherheit zu und erhöht in der Folge die Zufriedenheit unter den Mitarbeitenden. Zu den erwähnten Kompetenzen gehören:
- Ein solides Basiswissen über Risikokonsum und Alkoholabhängigkeit im Alter
- Ein solides Basiswissen zu problematischem Medikamentenkonsum und Medikamentenabhängigkeit, insbesondere hinsichtlich Benzodiazepinen und Analoga
- Die Fähigkeit, systematisch zu beobachten, Symptome zu erkennen und Signale wahrzunehmen
- Grundlegende Kenntnisse in Gesprächsführung und Kurzintervention
Damit die Qualität über längere Zeit Bestand hat, die Nachhaltigkeit also garantiert werden kann, sollten wiederkehrende Schulungen für das Personal angeboten werden, so dass auch neue Mitarbeitende schnell auf denselben Kenntnisstand gebracht werden können wie ihre Arbeitskolleg:innen. Weitere Massnahmen zur Qualitätssicherung sind die regelmässige Reflexion neuer Erfahrungen hinsichtlich Zielen und Nachhaltigkeit, bei Bedarf die Anpassung des Frühinterventionskonzeptes, Überprüfen der gemeinsamen Haltung sowie die Thematisierung von Verantwortung und Abgrenzung in der Fallbesprechung oder Supervision.