Pflegebedarf und Autonomie

Die Opioid-Agonisten-Therapie (OAT) wird mehr und mehr zu einer Therapieform für (vor-)gealterte Patientinnen und Patienten (Köck et al. 2021). Aufgrund der zunehmenden Erkrankungen im Alter und des komplexen Hilfebedarfs von alternden Menschen in einer OAT ist es zentral, die Anbindung an die allgemeinmedizinische sowie internistische Versorgung aufrechtzuerhalten. Aus denselben Gründen wird auch die Vernetzung von Beratungs- und Behandlungsinstitutionen immer bedeutsamer (Dürsteler-MacFarland/Schmid/Vogel 2009; Dürsteler/Vogel 2016). Dabei sind eine «altersgerechte Bündelung medizinisch-therapeutischer, rehabilitativer und psychosozialer Angebote» (Dürsteler/Vogel 2016: 20), eine gute Kooperation sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit nötig. Davon profitieren schlussendlich nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch das Gesundheitssystem, welches dadurch entlastet wird (Dürsteler/Vogel 2016).

Die Versorgung von älteren Menschen in einer OAT bewegt sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und dem Bedarf an Unterstützung. Die Angewiesenheit auf Unterstützung tritt bei älteren Menschen in einer OAT früher auf als in der Allgemeinbevölkerung und wird verstärkt durch ein kleineres soziales Netzwerk (Gaulen et al. 2017). Ängste und Skepsis gegenüber dem Gesundheitssystem aufgrund negativer Erfahrungen in der Vergangenheit intensivieren die potenzielle Ambivalenz von Patientinnen und Patienten (Dürsteler/Vogel 2016; Dürsteler/Herdener 2014).

Immobilität

In vielen europäischen Substitutionszentren liegt das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten bereits bei rund 45 Jahren oder höher (Dürsteler/Vogel 2016; EMCDDA 2010; substitution.ch 2020). Dass Menschen in einer OAT älter werden, führt auch dazu, dass nebst der Pflegebedürftigkeit auch die Immobilität zunimmt. Institutionen müssten sich demnach flexibel an die Bedürfnisse dieser Personen anpassen können. Viele (auf OAT spezialisierte) Institutionen sind jedoch auf eine jüngere Klientel ausgerichtet und z. B. nicht behindertengängig (Köck et al., 2021). Auch das Aushändigen von Opioid-Agonisten ist rigide geregelt. So darf vielerorts maximal eine Wochendosis mitgegeben werden, obschon für viele ältere, immobile Patientinnen und Patienten der Gang zur Abgabe mühsam und irgendwann unmöglich wird (Dürsteler-MacFarland/Schmid/Vogel 2009). So können Versorgungslücken entstehen. Möglichkeiten, diesen entgegenzuwirken sind gemäss Dürsteler & Vogel (2016) z. B. folgende:

  • Gemeinnützige Fahrdienste zur Abgabestelle
  • Wohnortnahe Abgabe (z. B. in Apotheke)
  • Aufsuchende Behandlung (z. B. über Spitex)

Noch problematischer ist Immobilität bei der heroingestützten Behandlung (HeGeBe), wo tägliche Bezüge des Diacetylmorphins nötig sind und als Folge eine Umstellung auf weniger rasch anflutende, orale OAT notwendig ist (diese birgt jedoch auch Risiken) (Dürsteler/Vogel 2016). Die Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM) empfiehlt, die Versorgung so lange wie möglich in der häuslichen Umgebung aufrechtzuerhalten. Dazu notwendig ist eine Einführung der Spitexdienste in die OAT (Dürsteler-MacFarland/Herdner/Vogel 2014; SSAM 2020).

Patientenverfügung

Wie werden ältere Menschen in einer OAT versorgt, wenn deren Selbständigkeit nicht mehr gegeben ist? In Anbetracht der immer älter werdenden Menschen in einer OAT gewinnt die Patientenverfügung an noch grösserer Bedeutung (Köck et al. 2021). Wie soll etwa im Falle einer Demenzerkrankung vorgegangen werden? In Zusammenhang mit einer OAT im Alter könnte es z. B. zu einer ungewollten Abdosierung kommen. Es ist deshalb zentral für Patientinnen und Patienten, bereits früh darüber zu entscheiden, wie sie am Ende ihres Lebens medizinisch behandelt werden wollen, um ihre Selbstbestimmung zu wahren.

Quellen

  • Dürsteler-MacFarland KM, Herdener M, Vogel M. Probleme älterer Patienten in Substitutionsbehandlung. Suchttherapie 2014; 3: 113-117.
  • Dürsteler-MacFarland KM, Schmid O, Vogel M. Ältere OpiatkonsumentInnen in Substitutionsbehandlungen. Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis 2009; 41(3): 569-578.
  • Dürsteler-MacFarland KM, Vogel M. Opioidsubstitution im Alter: ein Update. SuchtMagazin 2016; 5: 18-21.
  • European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (Hrsg.). Treatment and care for older drug users. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities; 2010.
  • Gaulen Z, Alpers SE, Carlsen SE L, Nesvåg S. Health and social issues among older patients in opioid maintenance treatment in Norway. Nordic Studies on Alcohol and Drugs 2017; 34(1): 80-90.
  • Köck P, Schmalz AM, Walter M, Strasser J, Dürsteler KM, Vogel M. Herausforderungen der Opioid-Agonistentherapie aus der Perspektive der Mitarbeitenden in Behandlungszentren: Ergebnisse einer Online-Umfrage. Nervenheilkunde 2021; 40(8): 609-614.
  • Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (Hrsg.). Medizinische Empfehlungen für Opioidagonistentherapie (OAT) bei Opioidabhängigkeits-Syndrom 2020. Bern: SSAM; 2020.
  • Nationale Substitutionsstatistik. Webseite. Jährliche Statistik, 2021. https://www.substitution.ch/de/jahrliche_statistik.html, Zugriff 30.05.2022.

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